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Offene Häuser/Open Huizen: Wie es Leos Mutter Blanka gelang, ihre jüdische Schwiegerfamilie zu verstecken

Als vor einigen Jahren bei Sandra in der Mercatorstraat geklingelt wurde, konnte sie nicht ahnen, wer da vor der Tür stand. Die Leute an der Haustür stellten sich vor als Zeev Rosner und sein Vetter Leo. Leos Mutter Blanka hatte im Zweiten Weltkrieg zusammen mit einigen untergetauchten Verwandten von Leos jüdischem Vater in diesem Haus gewohnt. Zeev, der im Krieg noch ein kleiner Junge war, konnte sich dort selbst noch eine Zeit lang verstecken, nachdem seine Eltern deportiert und ermordet worden waren. Einige Jahre nach dem Krieg wanderte Zeev zusammen mit seinem kleinen Bruder und dem Großvater nach Israel aus.  

Die Begegnung zwischen Sandra, Leo und Zeev war der Beginn einer neuen Erzählung. Sandra empfing die beiden in ihrem Haus, vergaß dann aber, nach ihren Kontaktdaten zu fragen. Einige Monate später erhielten die Vettern eine Mitteilung vom israelischen Zoll: Es war ein Päckchen für sie angekommen, das aber zurückgehalten wurde. Wieder einige Zeit später kam eine Karte mit den Daten von Zeev Rosner an, die es ermöglichte, dass Sandra, Leo und Zeev erneut Kontakt miteinander aufnehmen konnten. Während der Initiative „Offene Häuser” (Open Huizen) stellte Sandra ihr Wohnzimmer zur Verfügung, sodass Leo und Zeev ihre Familiengeschichte auch mit einem breiteren Publikum teilen konnten. 

Leo hatte einen jüdischen Vater österreichischer Herkunft und eine katholische belgische Mutter: Clementina Van Schausselen, die von allen in der Familie Blanka genannt wurde. Sie wuchs in Sint-Niklaas auf und arbeitete dann als Lehrerin in Antwerpen. Elias Leitner lernte sie auf der De Keyserlei kennen. Als der Krieg ausbrach, sprang Blanka für ihren Freund Elias und dessen jüdische Verwandte in die Bresche. Das Haus, das Blanka in der Mercatorstraat mietete, wurde zu einer Zentrale für die Aufnahme geflüchteter Familienmitglieder. Da Blankas flämischer Name bei den Deutschen kaum Verdacht weckte, konnten dort auch falsche Papiere gesammelt sowie Post angenommen und weitergeleitet werden. 
 

Eine Frau sitzt hinter einem Schreibtisch vor einer Tafel

Leos Mutter Clementina „Blanka” Van Schausselen in ihrer Klasse. Foto aus der Sammlung der Familie Leitner

Blanka sprach alle ihre (katholischen) Kontaktpersonen an, um ihrer Schwiegerfamilie zu helfen: Elias depressive Mutter brachte sie im Trappistenkloster in Westmalle unter. Elias und seinen Vater versteckte sie im eigenen Haus, bis die Deutschen auch dort eine Durchsuchung durchführten. Zum Glück konnte Blanka die beiden noch rechtzeitig in das Wochenendhaus der Familie in Westmalle bringen. Mit Hilfe eines Freundes ihres Bruders, der in einer Druckerei arbeitete, gelang es ihr, Elias und einigen seiner Brüder falsche Papiere zu besorgen. Elias’ Brüder flohen nach Frankreich und Portugal, blieben aber über Blankas Postadresse weiterhin mit der Familie in Kontakt. 

Reisepass eines Mannes

Der falsche Pass von Leos Vater Elias Leitner. Foto aus der Sammlung der Familie Leitner

Elias’ Schwester Yetti Leitner war zusammen mit ihrem Mann Moses Rosner und ihren beiden Söhnen aus Deutschland nach Brüssel geflohen. Sie fragten Blanka, ob sie ein Versteck für ihre beiden Kinder Zeev und Zvi, die in Belgien „Willy” und „Jean” genannt wurden, finden könne. Über den Bischof von Lüttich fand Blanka eine Familie in Banneux in Wallonien, die bereit war, die beiden Jungen aufzunehmen.

Yetti und Moses wurden 1944 in Brüssel von der Gestapo entdeckt und nach Auschwitz deportiert. Zeev und Zvi blieben bis Ende des Krieges sicher im Haus von Madeleine in Banneux.
 

Zwei Frauen und ein kleiner Junge

Blanka, Zeev und Madeleine in Banneux. Foto aus der Sammlung der Familie Leitner

Nach der Befreiung konnten Blanka und Elias endlich offiziell heiraten. Ihr kleiner Sohn Leo wurde 1946 – zwei Jahre nach seiner Schwester Ita – geboren. Zeev und Zvi kehrten nach Antwerpen zurück, um dort bei ihrem Großvater, ihrer Kusine und ihrem kleinen Vetter zu leben. Später wanderten sie zusammen mit dem Großvater nach Palästina aus. Leo wuchs in Antwerpen mit dem doppelten Hintergrund seiner Eltern auf: In der Woche besuchte er die jüdische Schule in Antwerpen und ging am Wochenende mit seinen Großeltern in Sint-Niklaas in die katholische Messe. 

vier Kinder hintereinander

Leo, Ita, Zvi und Zeev in Antwerpen. Foto aus der Sammlung der Familie Leitner

Durch die mutige Entscheidung seiner Mutter konnten sehr viele Familienmitglieder gerettet werden, meint Leo: nicht nur sein Vater und Großvater, sondern auch seine Onkel und Vettern. Unter Gefahr des eigenen Lebens tat sie alles, was sie nur konnte, um diese Menschen in Sicherheit zu bringen. Leo und Zeev erinnern sich an Blanka als aufrichtige, entschlossene und sehr mutige Frau. Während der Initiative „Offene Häuser” (Open Huizen) konnten sie ihre außergewöhnliche Geschichte vor Ort mit dem Rest ihrer Familie sowie mit einem Antwerpener Publikum teilen. Wir durften an diesem Wochenende sage und schreibe 20 Verwandte von Leo und Zeev aus Israel, Kanada und Großbritannien in Antwerpen begrüßen. Auf diese Weise wird die Geschichte auch an folgende Generationen weitergegeben.

Offene Häuser/Open Huizen

Im Zweiten Weltkrieg fielen in Antwerpen rund 25 000 Menschen der Verfolgung und Gewalt des Naziregimes zum Opfer. Viele andere erlitten schwere psychische, körperliche und materielle Schäden. Die Initiative „Offene Häuser” (Open Huizen) hält die Erinnerung an diese Menschen mit kleinen Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Zweiten Weltkriegs wach. Erzähler, Besucher und Bewohner teilen an besonderen Orten, an denen die Opfer einst wohnten und arbeiteten, Geschichten über Mitbürger.

Die erste Ausgabe von „Offene Häuser” (Open Huizen) fand am 9. und 10. Oktober 2021 statt.  
 

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