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Ein Morgen in der Synagoge: neu entdeckter Polizeibericht über die Razzia vom 28.-29. August 1942

Nachforschungen im FelixArchiv sorgen regelmäßig für Überraschungen. In der Nacht vom 28. auf den 29. August 1942 wurden bei einer Razzia der deutschen Besatzer in Antwerpen 943 Juden verhaftet und an Sammelstellen wie u. a. die Synagoge in der Terliststraat gebracht. Ein bis dato unbekannter Polizeibericht verleiht einen Einblick in die Vorgehensweise. Zu dem Fund kam es bei Nachforschungen über die Beteiligung an den Razzien von Polizeibeamten aus dem Distrikt Deurne.   

Unter den Protokollen der Polizei aus Deurne aus dem Jahr 1942 befand sich auch der Bericht eines Polizeioffiziers. Der Mann hatte an der Razzia teilgenommen, die die deutschen Besatzer mit Hilfe flämischer Kollaborateure und der Polizei Groß-Antwerpens am 28. und 29. August 1942 durchführten. Dabei wurden Hunderte von Juden verhaftet und dann für den Weitertransport in die Vernichtungslager in die Kaserne Dossin in Mechelen gebracht. Der Bericht war bis dato nicht bekannt. Er enthält jedoch wichtige Informationen, die sich vor allem auf die Lage in der Synagoge in der Terliststraat - eine der Sammelstellen, zu denen die verhafteten Juden gebracht wurden - beziehen. Bis heute war nicht bekannt, was in der Synagoge mit den Juden geschah, und man wusste auch nur wenig darüber, was die Polizei in diesem Gebäude gemacht hatte.

Herman Van Goethem zufolge, der die Razzia in seinem Buch „1942. Het jaar van de stilte” („1942. Das Jahr der Stille“) beschrieb, handelt es sich hier um einen äußerst wichtigen Fund: „Das ist ein interessantes Zeugnis, das erste uns bekannte, das auf die „Organisation” in der Synagoge verweist.” Der Bericht besteht aus einer nüchternen Beschreibung der Ereignisse zwischen 5.30 Uhr und 8.00 Uhr morgens. Gefühlsäußerungen oder einen Kommentar zu den Fakten findet man dort nicht.

Gedenktafel

Eine Gedenktafel an der Fassade erinnert an die tragischen Ereignisse in der Synagoge.

Verhaftungen

Der Bericht PV Nr. 2187 wurde Jozef De Potter, dem Hauptkommissar der Antwerpener Polizei, übermittelt. Erstellt hat ihn am 1. September 1942 der stellvertretende Polizeikommissar Jos Bouhon, der mit der Leitung der Polizeibeamten aus Deurne betraut war, die an der Razzia beteiligt waren. Er führte auch den Befehl über die Gruppe von Polizisten, die an dem besagten Morgen des 29. August nach Antwerpen geschickt wurde, um dort bei den Verhaftungen zu helfen. Bouhon berichtet, dass ihm der Deurner Polizeikommissar gegen 5.30 Uhr den Befehl erteilte, mit einem Dutzend Leuten mit der Straßenbahn ins Zentrum zu fahren. Die Gruppe sollte bei der Verhaftung der Juden in der Nähe des Zoos mitarbeiten. Bouhon zufolge „sammelte” er 39 Juden in der Stoomstraat und der Van Spangenstraat ein. 

Ein Hilfspolizist aus dem 6. Viertel – dem Viertel, in dem die Festnahmen stattfanden – überbrachte ihm den Befehl, die verhafteten Personen seien in der Synagoge in der Terliststraat abzuliefern. Es gab verschiedene Sammelzentren für aufgegriffene Juden, darunter auch die städtische Schule in der Grote Hondstraat. Trotzdem konnte nicht verhindert werden, dass es in der Synagoge schon sehr voll war, als die Polizisten aus Deurne mit ihrem Gefolge dort ankamen. 
 

Reihenhaus

Aufrufen der Namen

„Als wir dort in der Synagoge ankamen, stellten wir fest, dass bereits ein Saal der Synagoge mit dort gesammelten Juden aus anderen Straßen besetzt war, die von Mitgliedern der Polizei des 6. Viertels dorthin gebracht worden waren,” schreibt Bouhon. Polizeibeamte aus dem Viertel hatten auch die Bewachung der Juden übernommen, die in der Synagoge abgeliefert wurden. Da es nicht mehr genug Platz in dem großen Raum der Synagoge gab, brachte Bouhon seine „Ladung“ „im Saal hinter dem Büro der Herren Rabbiner unter”. 

Bouhons Polizisten hatten inzwischen die Ausweise der verhafteten Juden eingesammelt, die der stellvertretende Kommissar dann dazu benutzte, die Namen aufzurufen. Die Kinder zählte er dabei getrennt, „um sicher über die Anzahl derer zu sein, die ich genau um 8.00 Uhr der deutschen Sicherheitspolizei zu übergeben hatte.” Es sollte nicht der letzte Appell sein, den die Juden über sich ergehen lassen mussten… Danach übertrug Bouhon die Bewachung den Polizeibeamten des 6. Viertels und kehrte mit seinen Leuten zurück nach Deurne. Die Namen der verhafteten Juden hatte er nicht notiert, weil er dachte, in der Synagoge werde bestimmt noch eine Liste von ihnen erstellt. Er verwies diesbezüglich auf das Vorgehen der Deurner Polizei bei der Verhaftung von Juden in Deurne sowie beim Sammeln dieser Menschen im Kino Cinema Plaza.

Aus dem Bericht geht hervor, dass sich sowohl die Polizeibeamten des 6. Viertels, als auch die Polizisten aus Deurne genau an die deutschen Vorschriften hielten. Bouhon sorgte dafür, dass sowohl im Hinblick auf die deutsche Polizei, als auch auf die eigenen Vorgesetzten verwaltungstechnisch alles in Ordnung war, indem er die verhafteten Juden kontrollierte und die Kinder, die oft keine eigenen Ausweispapiere hatten, sorgfältig zählte.  

Im Laufe des Vormittags wurden die verhafteten Juden in Lastwagen zur Kaserne Dossin gebracht und dort am selben Tag 943 in Antwerpen aufgegriffene Juden in Erwartung ihrer Deportation registriert.
 
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